Vom Leben lernen wie es früher war
Unmittelbar vor dem Urfter Ortseingang heißt es aufgepasst, um den richtigen Abzweig nach Gut Neuwerk zu nehmen. Der Weg führt durch den Wald, mit dem Bachlauf der Urft und üppigen, nach Knoblauch riechenden Bärlauchfeldern, die zu dieser Jahreszeit typisch für manch einen Eifelwald sind. Nach rund 600 Metern sind ein akribisch angelegter Nutzgarten und das erste Gebäude in Sicht.
Unmittelbar vor dem Urfter Ortseingang heißt es aufgepasst, um den richtigen Abzweig nach Gut Neuwerk zu nehmen. Der Weg führt durch den Wald, mit dem Bachlauf der Urft und üppigen, nach Knoblauch riechenden Bärlauchfeldern, die zu dieser Jahreszeit typisch für manch einen Eifelwald sind. Nach rund 600 Metern sind ein akribisch angelegter Nutzgarten und das erste Gebäude in Sicht: das etwas tiefer liegende ehemalige Künstleratelier mit einem großen, weißen Rundbogenfenster. An der offenen Toreinfahrt kreuzen einige Hühner den Weg. Direkt dahinter liegen weitere Gutshäuser, die Reste des früheren Fittingwerkes, eine Eselwiese und auch ein Naturbadesee. Unerwartet und vielleicht sogar etwas deplatziert liegt dieses ehemalige Fabrikgebäude inmitten traumhafter Natur.
Schon die Zufahrt zum Gut Neuwerk entschleunigt, man möchte sofort tief einatmen und die saubere Waldluft genießen. Der Blick ins Grüne entspannt und bereitet zugleich vor auf ein Areal mit langer Geschichte: Bereits die Römer waren hier beim Bau ihrer Wasserleitung aktiv, die auf ihrem annähernd 100 Kilometer langen Weg von der Nordeifel bis nach Köln führt. Ein Teil davon ist offengelegt hinter dem Haupthaus zu sehen und läuft weiter an der Rückwand des Verwalterhauses. Über der Eingangstür des Herrenhauses ziert ein umgestaltetes Wappen die Zahl 1646, auf dieses Jahr gehen die Ursprünge der Bebauung des Gutes zurück.
Geschichtsträchtiges Anwesen
Nach dem Dreißigjährigen Krieg erlebte die Region rund um Kall einen konjunkturellen Aufschwung der Montanindustrie, sprich dem Bergbau und dem Hüttenwesen. Besonders im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden viele Reit- und Hammerwerke entlang der Urft gegründet, darunter die Reitwerke Dalbenden (Altwerk) im Jahr 1646 und das Neuwerk 1722. Es folgten Zeiten des Aufstiegs und Abschwungs bis hin zum Abbau der Kaller Eisensteinlagerstätten bis auf den Grundwasserspiegel zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Weitere, tieferliegende Lagerstätten konnten von da an nur durch den Bau von Stollen erschlossen werden. Das preußische Berggesetz von 1865 brachte viele neue Regelungen, jedoch mit geringer Wirkung für den Kaller Bergbau, der nur wenige Jahre später zum Erliegen kam. Noch bis 1946 war die Fabrik mit drei Schmelzöfen und etliche Schornsteine im Besitz der Familie Inden, deren Sohn Ernst ein bekannter Eifeler Kunstmaler war. Und diese Tradition setzte sich sogar fort, denn in den vergangenen rund dreißig Jahren bewohnte und gestaltete wiederum ein Künstlerpaar das Gutsareal.
Und auch heute wird schon beim Eintritt in das alte Anwesen deutlich: an diesem Ort wird Geschichte gelebt – und das gleich von drei Generationen! Sara und Michael Niedrig zog es nach dem aktiven Sportlerleben mit vielen Reisen und Fernbeziehungsjahren aus der Großstadt Köln hinaus ins Grün der Eifel. Auf der Suche nach einem realisierbaren Wohntraum fiel ihnen ein Prospekt mit ausgefallenen Immobilien in die Hände, darunter alte Mühlen, Vierkanthöfe und eben auch Gut Neuwerk. Nach der ersten Besichtigung war schnell klar: auf dem sechs Hektar umfassenden Gelände können beide ihren Traum vom entschleunigten Leben in und mit der Natur verwirklichen. Zusammen mit ihren drei Kindern und den Großeltern ist die Familie hier seit 2019 zuhause. Dass zunächst jede Menge Arbeit anstünde und viele verschiedene Aufgaben zu bewältigen waren, schreckte die ehemaligen Leistungssportler nicht ab, im Gegenteil. „Kraft für neue Lösungen finden, das kennen wir noch aus unserer aktiven Zeit“, sagt die bis 2012 erfolgreiche Beachvolleyballspielerin. Und der Ex-Fußballprofi ergänzt, „wir haben unzählige Visionen und machen viele Dinge zum ersten Mal. Scheitern ist dabei auch immer ein Teil des Ganzen.“
Das Haupthaus war schon einzugsbereit, die Niedrigs ließen lediglich einen separaten Bereich für die Großeltern einfügen. Das Atelier wurde zur Ferienunterkunft, das Verwalterhaus des Gutes sowie der Stall sollten ebenfalls zu Gästehäusern umfunktioniert werden. Mit viel Liebe zum Detail und unter strengen Kriterien der Nachhaltigkeit schufen Sara und Michael entspannende Rückzugsorte. Auf WLAN und TV verzichten sie in den Ferienhäusern ganz bewusst, um Ruhesuchenden den Raum für neue Ideen und Kreativität zu öffnen. Im leerstehenden Festsaal ließen die beiden noch Toiletten einbauen, um diesen zur Vermietung für Familienfeiern oder Hochzeiten anbieten zu können.
„Wir brauchen die Eifeler“
Mit ihren Plänen bringen Sara und Michael frischen Wind in die Eifel. Sie möchten Selbstversorger sein, Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten und Eier von freilaufenden Hühnern genießen, die Schafe sind als „Rasentrimmer“ aktiv und sogar die Energieversorgung soll autark funktionieren. Unlängst öffnete der Bagger lange Flächen des Gutsgeländes um mit neuen Heizungsrohren alle Häuser zu verbinden – bei einem 300 Jahre alten Bodendenkmal nicht ganz unproblematisch. Inzwischen wissen die beiden, dass sich nicht alle Ziele ohne Umwege verwirklichen lassen, aber „wir brauchen die Eifeler, um hier sein zu können“, erklärt Sara. Was sie damit meint, wird beim Blick in die Wohnräume klar: es gibt keine geraden Winkel in den alten Mauern, alles ist uneben und der Respekt vor Handwerk und geschickten Händen kommt nicht von ungefähr. Mit viel Fleiß und Arbeit legte Sara hinter dem Atelier auf der Wiese an der Urft einen 2.000 Quadratmeter großen Permakulturgarten an. „Es war für mich der schönste Garten der Welt“, sagt sie über ihr Herzensprojekt, „aber wenn ich nochmals anfangen würde, hätte ich doch ein paar Dinge anders gemacht ...“
Dann kam im Sommer 2021 die große Flut in die Eifel und nahm die Pflanzen allesamt mit. Nur gut, dass beide als Leistungsporttreibende gelernt hatten, Krisen nicht immer negativ zu sehen, es steckt auch immer ein Entwicklungspotenzial in Niederlagen. „Erfolge dagegen machen Spaß und motivieren weiter“, Sara nahm den zerstörten Garten als Chance eines Wiederaufbaus mit neuer Gestaltung und siehe da: er ist viel schöner als vorher! Mit der Idee „Hands for Holidays“ (Urlaub gegen Hand) realisierten die Niedrigs in kurzer Zeit die neuen Anpflanzungen, entfernten auf der Schafswiese große Brennnesseln und legten ein Hügelbeet an. „In nur zwei Tagen haben wir so viel geschafft, dafür hätten wir sonst zwei Monaten gebraucht“, freuen sie sich. Auch im Atelier sind die Wasserschäden beseitigt, „wir hatten schon vorher die Idee, einmal die nebenliegende Pferdebox zum Wellnessbad umzubauen und dafür eine, richtige‘ Küche in die etwas speziell genutzte vorherige ‚Badezimmerküche‘ zu bauen“, erzählt das Gutsbesitzerpaar. Nach der Flut musste der ganze Boden erneuert werden, weil die Dämmung vollgelaufen war. „Dann machen wir es direkt richtig“, dachten beide. Inzwischen ist der Umbau fertiggestellt, der Raum für romantische Auszeiten steht wieder und noch attraktiver bereit.
„Draußen sein bedeutet Glück“
„Wir leben an einem besonderen Ort“, geben Michael und Sara fast demütig zu, „unsere Kinder können hier frei und ungezwungen aufwachsen. Auf dem Gut haben sie vieles neu geschaffen und zum Positiven verändert. Auch wenn dafür Kraft erforderlich war, so sind der Weg dahin, ebenso wie das Ergebnis inspirierend. Im alten Pumpenhaus hat Saras Vater sein Atelier eingerichtet. Der Künstler gibt regelmäßig Kurse und führt die Tradition der Malerei auf Gut Neuwerk fort. In den Ferienhäusern schmücken seine Gemälde die Wände und weitere Ausstellungen sind an diesem „malerischen“ Ort geplant. Und auch die Mutter der ehemaligen Sportlerin zog es aus ihrer Wahlheimat in Bayern „nach Hause“ aufs Land, in die Eifel. Schon als Kind hatte sie viel Zeit auf dem Hof von Tante und Onkel im Bergischen verbracht, daran erinnert sie sich gerne und ist jetzt eine gute Beraterin bei landwirtschaftlichen Themen. Die Enkel aufwachsen zu sehen, freut sie besonders und „die Kinder lieben ihre Oma! (den Opa übrigens auch)“. Kein Wunder also, dass Max, Romy und Michel viel Zeit bei den Großeltern verbringen.
Die großen Außenflächen, Wiesen und Wälder laden zu einem „Bad“ im Grünen mit Vogelgezwitscher ein. Kaulquappen und Forellen tummeln sich im sauberen See, den die Urft ständig mit kühlem Frischwasser speist. „Dem Bachrauschen lauschen und die meiste Zeit des Tages draußen verbringen zu können“, bedeutet für die dreifache Mutter Glück pur. Dieses Wohl-Gefühl geben die Gut Neuwerkbewohner*innen gerne weiter. In ihrem außerordentlichen Heim fühlen sich alle zuhause. Sara ist über zwanzig Jahre lang für ihren Sport durch die Welt getourt, trat zweimal bei den Olympischen Sommerspielen an und spielte bei unzähligen Meisterschaften in Europa. „Diese Erfahrungen möchte ich nicht missen, aber es weckte in mir auch den Wunsch endlich zu Hause anzukommen. Das bin ich jetzt und hier möchte ich bleiben.“ Schon bei der großzügigen und etwa 400 Meter langen Anfahrt auf das Gelände geht der Pulsschlag runter, so beschreibt sie den Weg zum Gut. Ein Ort der Ruhe, an dem man trotzdem noch nicht zur Ruhe kommt ... wie auch mit drei kleinen Kindern und jeder Menge Ideen? Michael hat unlängst eine eigene Trüffelwiese auf einer Waldlichtung angelegt. Nachdem er zuvor ein paar schwarze Knollen gefunden hatte, wollte er mehr. Dafür hat er 24 Tonnen Muschelkalk ausgebracht, damit der Boden nicht zu sauer für die Trüffelzucht ist. Auf einer Fläche von 5.000 Quadratmetern sind nun 80 junge, mit dem Trüffelpilz geimpfte Eichen-, Buchen- und Lindenbäume gepflanzt. „Irgendwann bauen wir noch einen Holzofen und bieten unseren Gästen und Wandernden Trüffelpizza an“, schwärmt der Ex-Profifußballer.
Ein Leben am Ursprung
Nach dem Leben im System des Sportes genießen die beiden nun ihre Zeit für sich und in der Natur. Das Wesentliche ist wichtig, etwas gestalten und mit sich zufrieden sein. Eine gewisse Unabhängigkeit als Selbstversorger genießen, das gefällt Familie Niedrig. Mit viel Energie haben sie für ihren Traum ein Heim gefunden, doch jetzt heißt es „langsam wachsen“. Neue Projekte sollen erstmal nicht begonnen werden, aber es gibt noch unzählig viele Pläne. Einer davon betrifft den alten Tennisplatz auf einer Anhöhe über dem Gut. Auf der Betonplatte im Boden soll eine Sportfläche oder ein Kunstrasenplatz entstehen, für Yoga-Seminare oder andere Aktivitäten – doch das steht aktuell noch nicht an allererster Stelle.
Mit freundlicher Unterstützung durch ENDLICH Eifel/Autorin Jeannette Fentroß